In unserem neuen Video widmen wir uns den Leitlinien. Nachdem wir im vorigen Video Expertenstandards beleuchtet haben, müssen wir nun einen Blick auf Leitlinien werfen. Auch wenn es primär medizinisch-geprägte Instrumente zur Versorgung sind, sind sie für die pflegerische Praxis nicht weniger wichtig. In unserem neuen Video erklären wir warum.
Was genau sind Leitlinien?
Leitlinien sind systematisch entwickelte Aussagen, die den gegenwärtigen Erkenntnisstand wiedergeben, um die Entscheidungsfindung von Ärzt*innen sowie Angehörigen von weiteren Gesundheitsberufen und Patient*innen/Bürger*innen für eine angemessene Versorgung bei spezifischen Gesundheitsproblemen zu unterstützen.
Leitlinien unterscheiden sich von anderen Quellen aufbereiteten Wissens (systematische Übersichtsarbeiten, Health Technology Assessments (HTA) mit oder ohne Metaanalysen) durch die Formulierung von klaren Handlungsempfehlungen, in die auch eine klinische Wertung der Ziele mit Relevanz für Patient*innen/Bürger*innen, Aussagekraft und Anwendbarkeit von Studienergebnissen eingeht.
Leitlinien sind als „Handlungs- und Entscheidungskorridore“ zu verstehen, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muss. Die Anwendbarkeit einer Leitlinie oder einzelner Leitlinienempfehlungen muss in der individuellen Situation geprüft werden nach dem Prinzip der Indikationsstellung, Beratung, Präferenzermittlung und der partizipativen Entscheidungsfindung.
Die Rolle der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)
Die AWMF ist eine Schlüsselorganisation in Deutschland, die die Erstellung und Koordination von Leitlinien übernimmt. Sie unterstützt die Entwicklung von Leitlinien durch methodische Beratung, fördert den wissenschaftlichen Austausch zwischen den Fachgesellschaften und gewährleistet die Qualität und Aktualität der Leitlinien durch regelmäßige Überprüfungen und Updates.
Der Prozess der Leitlinienentwicklung
Die Erstellung einer medizinischen Leitlinie ist ein komplexer und mehrstufiger Prozess, der mit der Initiierung beginnt. Dieser erste Schritt wird oft durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder Änderungen in der Behandlungspraxis ausgelöst, die einen Bedarf für eine neue oder überarbeitete Leitlinie erkennen lassen. Nachdem der Bedarf identifiziert wurde, folgt die Phase des Konzepts und der Planung. In dieser Phase wird eine interdisziplinäre Expert:innengruppe zusammengestellt, die gemeinsam die Ziele der Leitlinie festlegt, die Hauptfragen definiert und den gesamten Entwicklungsprozess plant.
Im nächsten Schritt, der Evidenzrecherche und Bewertung, führt das Team eine systematische Durchsicht der aktuellen Forschungsliteratur durch. Ziel ist es, alle relevanten Informationen zu sammeln und zu bewerten, um eine fundierte Grundlage für die Leitlinie zu schaffen. Auf Basis dieser Evidenz entwickelt die Gruppe dann Empfehlungen, die in Konsensuskonferenzen diskutiert und verfeinert werden, um breite Zustimmung und Praktikabilität sicherzustellen.
Sobald ein Konsens gefunden ist, beginnt die redaktionelle Phase. In dieser Phase wird das endgültige Leitliniendokument erstellt und einer gründlichen Überprüfung durch externe Expert:innen unterzogen. Nach erfolgreicher Begutachtung und finaler Freigabe folgt die Veröffentlichung und Dissemination der Leitlinie. Sie wird offiziell veröffentlicht und breit verbreitet, um sicherzustellen, dass sie von der medizinischen Gemeinschaft angenommen und angewendet wird, was letztendlich zur Verbesserung der Patient:innenversorgung beiträgt.
Klassifizierung und Typen von Leitlinien
Leitlinien können nach ihrem methodischen Ansatz klassifiziert werden:
- S1-Leitlinien: Basieren auf dem informellen Konsens einer Expert:innengruppe.
- S2-Leitlinien: Unterteilt in S2e (evidenzbasiert, ohne formalen Konsens) und S2k (konsensbasiert, ohne systematische Evidenzbewertung).
- S3-Leitlinien: Diese sind die umfangreichsten; sie kombinieren systematische Evidenzbewertung mit einem formalisierten Konsensprozess und beteiligen dabei alle relevanten Stakeholder.
Bedeutung der Mitgliedschaft der DGP in der AWMF
Die Beteiligung der DGP an der AWMF trägt dazu bei, dass die Interessen und das Fachwissen der Pflegeberufe stärker in die medizinische Leitlinienerstellung integriert werden. Dies ist besonders wichtig, da viele Leitlinien nicht nur medizinische, sondern auch pflegerische Interventionen umfassen. Die Pflegewissenschaft bringt spezifisches Wissen über Patient:innenbetreuung, präventive Maßnahmen und die Handhabung chronischer Bedingungen in den Leitlinienprozess ein.
Warum sind Leitlinien wichtig für die Pflege?
- Standardisierung der Pflegepraxis: Leitlinien helfen, einheitliche Standards in der Pflege zu etablieren, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Dies führt zu einer verbesserten und konsistenten Patient:innenversorgung quer durch verschiedene Gesundheitseinrichtungen.
- Verbesserung der Patient:innensicherheit: Durch klare, evidenzbasierte Richtlinien können Risiken und Fehler in der Pflege reduziert werden. Leitlinien geben genaue Anweisungen zur Durchführung pflegerischer Maßnahmen, was die Sicherheit der Patient:innen direkt erhöht.
- Förderung evidenzbasierter Praxis: Leitlinien ermöglichen es Pflegefachpersonen, auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben und diese Erkenntnisse in ihre tägliche Arbeit zu integrieren. Dies trägt dazu bei, dass die Pflegepraxis kontinuierlich verbessert und aktualisiert wird.
- Professionelle Entwicklung und Bildung: Leitlinien sind ein wesentliches Instrument für die Aus- und Weiterbildung von Pflegefachpersonen. Sie bieten eine fundierte Grundlage für die Schulung und sind integraler Bestandteil vieler Lehrpläne in der Pflegeausbildung.
- Unterstützung bei klinischen Entscheidungen: In komplexen oder unsicheren Situationen bieten Leitlinien wertvolle Orientierung und unterstützen Pflegefachpersonen bei der Entscheidungsfindung. Sie dienen als Referenzpunkt, um die bestmögliche Pflegeentscheidung zu treffen.
- Patient:innenaufklärung und -einbindung: Leitlinien können genutzt werden, um Patient:innen über ihre Behandlung aufzuklären und sie aktiv in den Pflegeprozess einzubeziehen. Dies fördert das Verständnis und die Compliance/Adhärenz der Patient:innen.
Unterschiede zwischen Expertenstandards und Leitlinien
Während Leitlinien eine zentrale Rolle in der medizinischen und pflegerischen Versorgung spielen, ist es wichtig, sie von Expertenstandards abzugrenzen. Informationen zu Expertenstandards werden in diesem Video detailliert aufgearbeitet.
Gemeinsamkeiten
- Qualitätsverbesserung: Sowohl Leitlinien als auch Expertenstandards zielen darauf ab, die Qualität der Patient:innenversorgung zu verbessern.
- Wissenschaftliche Evidenz: Beide basieren auf der aktuellsten wissenschaftlichen Evidenz und definieren Qualitätsstandards in der Behandlung und Pflege.
Unterschiede
- Fokus und Anwendungsbereich: Leitlinien sind in der Regel nicht so breit angelegt und decken ein spezifisches medizinisches oder pflegerisches Thema ab. Sie sind hauptsächlich medizinisch orientiert und bieten Entscheidungsgrundlagen für spezifische medizinische Maßnahmen. Expertenstandards hingegen sind oft breiter angelegt und auf den Pflegeprozess ausgerichtet, um die Gesamtheit der Pflege zu verbessern.
- Disziplinäre Ausrichtung: Expertenstandards sind monoprofessionelle Instrumente. Leitlinien hingegen werden multidisziplinär erstellt, was bedeutet, dass sie die Perspektiven verschiedener medizinischer und pflegerischer Fachgebiete integrieren. Dieser Punkt ist allerdings nicht so streng zu bewerten, da auch Expertenstandards mittlerweile einen multidisziplinären Ansatz verfolgen.
- Implementierung in der Praxis: Expertenstandards sind in der Regel direkt auf die Implementierung in Pflegeeinrichtungen ausgerichtet und beinhalten spezifische Anweisungen zur Umsetzung. Leitlinien sind hingegen eher als Empfehlungen zu verstehen, die Fachpersonal helfen, Entscheidungen zu treffen, aber nicht unbedingt direkt in die Strukturen von Gesundheitseinrichtungen eingebunden werden.
Zusammenfassung
Leitlinien sind wichtige Werkzeuge in der Gesundheitsversorgung, die darauf abzielen, die Qualität der Patient:innenbetreuung kontinuierlich zu verbessern. Sie sind das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses und spiegeln den Konsens führender Expert:innen auf Basis der besten verfügbaren Evidenz wider. Durch die Bereitstellung klarer, forschungsbasierter Richtlinien tragen sie dazu bei, dass Gesundheitsfachleute sicher und effektiv handeln können, zum Wohl der Patient:innen.
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